Die Kommune von morgen – Visionen und Möglichkeiten des Wandels

Wie kann zeitgemäße kommunale Stadtentwicklung respektive Ortsplanung angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit aussehen? Welche Visionen und Möglichkeiten des Wandels schaffen real Zukunft und ermöglichen die Gestaltung der Kommune von morgen? Und wie viel Zeit bleibt noch? Allmählich dringt die Erkenntnis auch in den letzten Winkel der Republik vor: Wir können nicht weitermachen wie bisher. Nicht zuletzt der rasant fortschreitende Klimawandel wie auch die kaum beherrschbare Corona-Pandemie zeigen, dass wir auf eine anhaltend veränderte Wirklichkeit zusteuern – beziehungsweise schon mittendrin sind. Doch der Wandel schreitet fort und für die Macherinnen und Macher unserer Epoche stellt sich die Frage: Was kann getan werden, damit wir den zu erwartenden Veränderungen gewachsen sind? Wo kann der Wandel gezielt gesteuert werden? Und wie lässt sich die Krise als Chance nutzen, vielleicht sogar für eine noch bessere Lebensqualität für alle? Jetzt ist die Zeit für Visionen und zupackendes politisches Handeln – auch und gerade auf kommunaler Ebene.
„Wieder ein Land werden, das macht, das tut ...“
„Ich finde, dieses Land wirkt wie eingefroren“, so Johannes Teyssen, jüngst ausgeschiedener Vorstandsvorsitzender der E.ON SE im Interview bei Avacon-CEO Marten Bunnemann in dessen erstem Energie-Podcast „Impulse“ am 6. April 2021. „Wir haben nicht gemerkt, dass seit Jahren nichts mehr passiert. Nichts Neues, nichts mehr ...“ Den Akteuren in Politik und Wirtschaft gibt er mit auf den Weg: „Wir müssen wirklich wieder ein Land werden, das macht, das tut ...“ Die Größe und Vielfalt der Aufgaben ist überwältigend und wird die Menschen, die in den Kommunen landauf, landab in Verantwortung stehen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stark fordern – einerseits. Andererseits bieten sie die einzigartige Gelegenheit, bei sich vor Ort einen Jahrhundertwandel mitzugestalten. Johannes Teyssen rät, mit einfachen Dingen anzufangen und dann Schritt für Schritt weiterzugehen, statt gleich ganz hoch hinaus zu wollen und dann angesichts der Größe der Aufgabe nicht ins Tun zu kommen. „Einfach mal machen“, wie Marten Bunnemann ergänzt. Und die großen Themen der Zeit sind sowieso alle eng verknüpft – nimmt man den Faden an einem Ende auf, wird sich eines nach dem anderen daraus entwickeln. Deshalb: Ärmel hochkrempeln und – einfach mal machen.
Wagen neu zu denken – nämlich vom Menschen her
Vor allem anderen heißt es, dem Klimawandel noch schneller und entschlossener zu begegnen, um weiterhin ein lebenswertes Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen. Dazu gehört, dass die neuen Wege der Energiepolitik und -wirtschaft der letzten Jahre und Jahrzehnte weiter massiv vorangetrieben werden. Dazu gehören auch schlüssige Konzepte für eine konsequente Verkehrswende für Stadt und Land, Nah- und Fernverkehr, Schiff- und Luftfahrt – um eine vollständige Dekarbonisierung zu erzielen und somit den weltweiten Temperaturanstieg zu begrenzen. Und dazu gehört weiterhin, Zusammenleben, Wohnen, Wirtschaft, Landwirtschaft und die Gestaltung des öffentlichen Raums zu wagen neu zu denken – nämlich vom Menschen her. Denn auch der demografische Wandel, der Wohnraummangel und die zu hohen Mieten wie auch Immobilienpreise einerseits, die Leerstände andererseits, die Verödung von Ortszentren, der Strukturwandel im Einzelhandel und die Digitalisierung, um nur einige Stichwörter zu nennen, die die weiteren Herausforderungen grob umreißen, verlangen nach neuen Ideen und Lösungen. Was wollen und brauchen wir in den Kommunen, ob klein oder groß, ländlich oder städtisch? Erst mal den Mut, sich auf vielleicht noch unbekanntes Terrain zu begeben und Neues zu wagen – den Lichtkegel bzw. Blickwinkel zu erweitern, um den Schlüssel zu finden - um mit Paul Watzlawick zu sprechen.
„Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: ’Meinen Schlüssel.’ Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: ’Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.’ “
Paul Watzlawick in „Anleitung zum Unglücklichsein“
Wer Visionen hat, sollte ... sich einbringen!
Zwar müssen den großen Rahmen in Deutschland Bundespolitik und Wirtschaft stecken. Doch das heißt nicht, dass nicht auch wesentliche Impulse von den Kommunen sowie auch kleineren Organisationen wie Bürgerinitiativen, Vereinen und Verbänden ausgehen können. Vielerorts wollen die Menschen Veränderung und so einiges bewegt sich schon. Es erweist sich zudem als sinnvoll, private Initiativen ernst zu nehmen und ihnen Raum zu geben sowie die Bevölkerung gezielt bei der Ideenfindung und Umsetzung von kommunalen Projekten der aktuellen Stadt- bzw. Ortsentwicklung gezielt miteinzubeziehen.
Bad Gandersheim: Oasenspiel und Landesgartenschau 2022

So geschehen in Bad Gandersheim im Landkreis Northeim in Niedersachsen beim Oasenspiel, einem vom EU-Programm Erasmus+ gefördertes Projekt, das der Kurstadt 2019 einen neuen Schub geben sollte. Entstanden ist das Konzept des Oasenspiels in Brasilien, um die Lebensbedingungen der Menschen in den Favelas, den Armenvierteln zu verbessern. Entscheidend ist dabei die Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner. So auch in Bad Gandersheim: Rund hundert Einwohnerinnen und Einwohner haben ihre Wünsche, Ideen und Träume zusammengetragen und sich dann innerhalb einer Woche an die erste Umsetzung gemacht. Die Grundlagen dafür – Wissen und Material – kamen aus der Gemeinschaft. Das erste verwirklichte Projekt: ein Gemeinschaftsgarten.

Die Kurstadt Bad Gandersheim hat viel Potenzial: Aufgrund ihres Soleheilbads verfügt sie über einen Heilbad-Status und damit einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Stadt sowie die umliegenden Dörfer. Aufgrund einiger Defizite im Kurbereich (veraltete Kuranlagen, Leerstände, Mangel an Hotels) ist dieser Status allerdings gefährdet und daher schien die Bewerbung für die niedersächsische Landesgartenschau (LaGa) 2022 eine große Chance zu sein. Vor der Bewerbung wurden auch hier Bürgerinnen und Bürger der Stadt einbezogen: Neben einer Bürgerbefragung an einem Wahltag gab es eine Bürgerbeteiligung in Form eines Ideenworkshops. Auf der Grundlage der dort zusammengetragenen Ideen, Anregungen, Ziele und Visionen der Menschen, entstand die Machbarkeitsstudie. Es folgte eine zweite Bürgerbeteiligung für die weitere Planung. Auch an ihr nahmen zahlreiche Interessierte teil. Und: Bad Gandersheim erhielt den Zuschlag! Schließlich wurde 2019 noch ein Förderverein gegründet, in dem alle Bürgerinnen und Bürger mitarbeiten können, die sich für eine erfolgreiche Landesgartenschau engagieren wollen. Außerdem ist die Gründung einer Bürgerstiftung für Bad Gandersheim erfolgt, die unter anderem auch der Förderung der LaGa dient.
Ziel jeder LaGa ist es, die regionale Wirtschaft zu stärken. Gleichzeitig sollen die Lebensqualität und das ökologische Klima der jeweiligen Stadt verbessert werden. Häufig dient sie auch stadt- bzw. regionalpolitischen Entwicklungszielen, wie auch in Bad Gandersheim. Für die LaGa sollen hier nun der Kurbereich sowie die touristische Infrastruktur komplett neugestaltet werden und dadurch nachhaltige positive Auswirkungen auf das gesamte Stadtgebiet mit Ausstrahlung auf die Region erzielt werden.
„Wir gestalten für die Ausstellung unsere alten Kuranlagen in ein zeitgemäßes, nachhaltiges Erholungsgebiet für Einheimische und Gäste um. Das Element Wasser mit den Osterbergseen, den Flüssen Gande und Eterna, den Solequellen und dem Sole-Freibad wird sich wie ein blaues Band durch die neuen Anlagen ziehen und erlebbar sein. Gemeinsam mit Kindern planen und bauen wir attraktive Spielplätze und schaffen viel Platz für Gartengestaltung, Natur und Kultur. Die Landesgartenschau wird nicht nur den Tourismus und die Wirtschaft in Bad Gandersheim beleben, sondern ausdrücklich auch unsere Nachbarkommunen einbeziehen. Die gesamte Region Südniedersachsen soll davon profitieren!“
Franziska Schwarz, Bürgermeisterin von Bad Gandersheim

Langjährige Partnerschaft: Bad Gandersheim und Avacon
Gemeinsam mit den Kommunen im Netzgebiet setzt sich Avacon für die Region ein. Auch mit der Kurstadt Bad Gandersheim gibt es eine bereits langjährige und erfolgreiche Partnerschaft. Avacon fördert beispielsweise den seit 1973 in Erinnerung an die erste deutsche Dichterin und Kanonisse, Roswitha von Gandersheim (10. Jh.), alljährlich vergebenen Roswitha-Preis – den ältesten nur an Frauen vergebenen deutschen Literaturpreis. Für das Jahr 2020 ging er – Corona-bedingt nachträglich am Internationalen Frauentag 2021 – an die in Berlin lebende Schriftstellerin Ulrike Almut Sandig. Die öffentliche Verleihung folgt im Sommer.
Die Gandersheimer Domfestspiele werden ebenfalls von Avacon seit vielen Jahren unterstützt. Im Jahr 2020 mussten sie leider ausfallen. Für 2021 und somit die 63. Spielzeit läuft bereits der Kartenverkauf in der Hoffnung, dass die Aufführungen unter entsprechenden Hygienebedingungen in Niedersachsens größtem Freilichttheater werden stattfinden können.
Auch darüber hinaus hat Bad Gandersheim viel zu bieten, wie Bürgermeisterin Franziska Schwarz im Interview berichtet: „Unsere historische Altstadt mit der romanischen Stiftskirche und dem frisch sanierten Rathaus von 1582 bilden den sehenswerten Stadtkern und zugleich das Wahrzeichen Bad Gandersheims – und die Kulisse für die Gandersheimer Domfestspiele im Sommer! Die besondere Atmosphäre mit Freilufttheater sollte man nicht verpassen. Unmittelbar an die Innenstadt grenzt zudem der Klosterhügel Brunshausen mit dem Museum ‚Portal zur Geschichte‘ im ehemaligen Kloster.“
Und wer durch den Ort spaziert, kann auch an der einen oder anderen Stelle eine im Auftrag von Avacon von der Firma Art-EFX künstlerisch gestaltete Trafostation entdecken. Die Motive – überwiegend mit Regionalbezug – sind in Zusammenarbeit mit der Kommune entstanden. Das neueste Motiv am Kurpark befindet sich auf dem zukünftigen Gelände der Landesgartenschau. Auch 2021 soll ein weiteres Trafohäuschen gestaltet werden.
Von Avacon in den letzten Jahren umgesetzt: Trafokunst in Bad Gandersheim.
Hoffnungsvolle Ideen, Konzepte und Projekte
Der Verödung der Innenstädte – bedingt u. a. durch den Online-Handel und zusätzlich die Corona-Pandemie – oder ganzer Ortschaften gilt es entgegenzuwirken. Aber: Einfach nur den Einzelhandel zu fördern oder auf Nachmieter für leerstehende Ladengeschäfte zu hoffen, kann alleine die Lösung nicht sein. Vielmehr müssen die Ortszentren neu gedacht und der Wandel gezielt gestaltet werden. Das weiß auch die Politik und hat in Niedersachsen im Februar 2021 beim Innenstadtgipfel Vorschläge für die Belebung der Innenstädte und Ortszentren diskutiert. Auch Gemeinschaft und Zusammenhalt zu stärken ist in vielen Kommunen, insbesondere angesichts der Herausforderungen der Pandemie, ein zentrales Thema wie auch neue Formen des Wohnens und Bauens. Und besonders in kleinen, ländlichen Kommunen drängt die Frage, wie man die Menschen dort halten oder neue Einwohnerinnen und Einwohner gewinnen kann. Mancherorts gibt es im Avacon-Netzgebiet bereits hoffnungsvolle Ideen, Konzepte und Projekte. Hier eine kleine Auswahl:
- In Letzlingen, Hansestadt Gardelegen, im Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt entsteht derzeit ein digitaler Kaufladen.
- In der Gemeinde Linsburg im Landkreis Nienburg/Weser gibt es bereits einen gemeinschaftlichen Dorfladen im Dorfgemeinschafthaus, der auch Begegnungsort ist.
- In der Hansestadt Stendal in der Altmark wird gesellschaftliche Teilhabe durch digitale Nachbarschaftsgespräche unter dem Motto „Stendal besser machen“ gefördert.
- In Calbe (Saale) im Salzlandkreis sorgen attraktive Angebote für die junge Generation dafür, dass die Abwanderung nachlässt und mehr Zuwanderung stattfindet.
- Im Wendland werden unter der Überschrift „Wendland im Wandel“ von dem Ländliche Erwachsenenbildung in Niedersachsen e.V. (LEB) zahlreiche zukunftsweisende Projekte gebündelt. Eines davon steht für neue Formen des Wohnens, Arbeitens und Lebens auf dem Land: Hitzacker Dorf.
- Im Lüneburger Speicherquartier schuf eine eigens gegründete Baugemeinschaft ein Leuchtturmprojekt für ökologisches Bauen: die bundesweit größte Wohnanlage mit strohgedämmter Holzbauweise. Außerdem wird hier inzwischen gemeinschaftliches generationenübergreifendes Wohnen gelebt.
- Ebenfalls in Lüneburg ist Quartiersmanagerin Nadine Fischer als „Brückenbauerin“ im Wohngebiet „Am weißen Turm“ im Einsatz, um dort die Wohnverhältnisse und Bildungschancen der Menschen zu verbessern sowie die Nachbarschaft und die Identifikation mit dem Quartier zu stärken.
Themenauswahl: In welchen Bereichen kann gehandelt werden?
Ortskern retten:
- Bestandsimmobilien (zurück)kaufen/mieten und dadurch die Immobilienpreise senken, sodass kleine inhabergeführte Einzelhändler und Gastronomien bleiben oder sich neu ansiedeln können und das Wohnen im Ortskern wieder erschwinglich und attraktiv wird.
- In einigen Mittelzentren sind die Einkaufsstraßen/Fußgängerzonen zu groß dimensioniert. Hier kann es sinnvoll sein, den Handel zu verdichten, um Raum für anderes zu schaffen wie Begrünung, Kultur, Orte, an denen sich Menschen gerne aufhalten, Wohnraum, Räume für Co-Working etc.

Mobilität wandeln:
- Die autogerechte Planung der 1970er-Jahre hat ausgedient. Wir brauchen menschengerechte Orte, in denen sich Radfahrer, Fußgänger – auch Frauen und Kinder - jederzeit sicher fühlen und Menschen mit Behinderung oder sonstiger Einschränkung ungehindert bewegen können.
- Es ist Zeit für neue Mobilitätskonzepte für Stadt und Land, den urbanen Raum neu denken und aufzuteilen, damit Kommunen mit guter Infrastruktur und sauberer Luft wieder lebenswerter werden.
- Dabei hilft auch der Ausbau eines klimafreundlichen, preiswerten öffentlichen Nahverkehrs, die Förderung von Elektromobilität, sichere Radwege und die sogenannte Multimodalität – die flexible Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel.

Begrünung fördern:
- Flächen entsiegeln ist nicht nur ein Beitrag zum Bodenschutz, sondern fördert auch die Lebens- und Wohnqualität: Das Kleinklima verbessert sich, die Grundwasserneubildung wird erhöht, der oberflächliche Abfluss und damit die Hochwassergefahr sinkt und mehr Begrünung wird möglich.
- Stadtbegrünung verbessert die Luft und das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner einer Kommune. Pflanzen in der Stadt verringern das CO2 in der Luft und beispielsweise Efeu kann sogar Feinstaub filtern. Außerdem setzen mehr Grünflächen, Bäume, Sträucher wie auch Dach- und Fassadenbegrünung in Städten und Gemeinden dem Temperaturanstieg und dem zunehmenden Hitzestress in den heißer werdenden Sommern etwas entgegen, denn sie kühlen die Städte. Auch private Gärten, Kleingartenkolonien und neue Konzepte von Urban Gardening und Gemeinschaftsgärten tragen dazu bei.
- Mehr Grün in den Städten und Gemeinden sorgt für den Schutz von Bienen, weiteren Insekten und der Artenvielfalt. Besonders Blühwiesen und Streuobstwiesen sind hier hilfreich.
- Bei der Planung von Neubegrünung kann das allergische Potenzial der Pflanzen beachtet werden und so dem zunehmenden Pollenflug, der immer mehr Menschen zu schaffen macht, gezielt entgegengewirkt werden.
Weiter informieren:
- Deutsches Institut für Urbanistik: „Innenstädte mit Steuern steuern oder mit Steuern gestalten?“
- NDR: „Die Landesregierung hat den Kommunen ein Sofortprogramm aus EU-Mitteln zur Corona-Soforthilfe in Aussicht gestellt.“
- SR: „Ideen gegen die Verödung der Innenstädte“
- Niedersächsischer Städtetag: „2021 – Schicksalsjahre der Innenstädte“. Positionspapier vom 16. Februar 2021 und Forderungen.
Fördermöglichkeiten:
- Finanzhilfen des Bundes
- Städtebauförderung in Niedersachsen
- Städtebauförderung in Sachsen-Anhalt