Mehr Verantwortung
Wie Jugendbeteiligung in Kommunen gelingt

Gesellschaftliche Teilhabe das beste Mittel, um Politikverdrossenheit und Radikalisierung entgegenzuwirken. Sie stärkt Selbstbewusstsein und Demokratieverständnis und ist damit eine wichtige Investition in die Zukunft von Kommunen. Dort, wo sich Jugendliche ernstgenommen fühlen, ihre Bedürfnisse Gehör finden und sie ihre Ideen einbringen können, findet Identifikation mit dem Ort statt.
Aus dem Achten Sozialgesetzbuch folgt, dass Kinder und Jugendliche „entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen“ beteiligt werden müssen. Das zu gewährleisten ist für Gemeinden Herausforderung und Chance zugleich. Angebote zu Mitbestimmung, wie Jugendrat, -forum oder -parlament können hierbei ein wertvolles Instrument sein. Aber auch darüber hinaus sind vielfältige Formen der Beteiligung denkbar.
Nur: Wie begeistert man junge Menschen für die Kommunalpolitik? Dazu haben wir mit Philipp Felsen, Ortsbürgermeister von Redderse (Ortsteil der Stadt Gehrden), und mit Hendrik Pieper, Jugendbürgermeister von Ronnenberg aus der Region Hannover, gesprochen.

Hendrik Pieper (19, links) übt sein Amt als Jugendbürgermeister seit Oktober 2018 aus. Philipp Felsen (26) wurde im November 2016 zum Ortsbürgermeister von Redderse (Ortsteil der Stadt Gehrden) gewählt.
Welche Erfahrung machen Sie: Finden junge Leute heute genügend Gehör in der Kommunalpolitik?
Philipp Felsen: Junge Leute haben im Prinzip ja immer die Möglichkeit, in Parteien einzutreten oder sich – wie Hendrik Pieper – in einem Jugendparlament zu engagieren. Allerdings ist mein Eindruck, dass die Alteingesessenen in der Politik gern ihr eigenes Ding durchziehen und die Jugend wenig in konkrete Entscheidungen einbeziehen. Da sehe ich Ausbaubedarf.
Hendrik Pieper: Unser Jugendparlament hat einen sehr guten Draht zum Gemeinderat und zur Verwaltung. Wir haben sogar ein eigenes Budget, über das wir entscheiden können. Aber ich weiß auch, dass die Situation in anderen Jugendgremien schwieriger ist. Die dort entwickelten Ideen werden oft wenig gehört und zu selten umgesetzt.
Wie schwer ist es heute, Jugendliche für Politik zu begeistern?
Felsen: Eine gewisse Begeisterung sehe ich schon – denken wir nur an die aktuell weltweiten Proteste von Schülern für den Klimaschutz oder an die Willkommenskultur, mit der sich viele für Flüchtlinge stark gemacht haben. Junge Leute scheuen sich jedoch eher davor, in Parteien einzutreten, weil sie ihnen zu wenig vertraut sind. Auch das Grundverständnis, wie Politik funktioniert – mit Ausschüssen und Gremien – fehlt vielfach.
Pieper: In der Schule stehen vor allem Bundes- und Landespolitik im Fokus. Aber Kommunalpolitik wird kaum thematisiert. Da sehe ich die Schulen in der Pflicht, mehr Anknüpfungspunkte in die Rathäuser zu schaffen.
Was müsste sich am Politikbetrieb ändern, damit es für junge Menschen attraktiver wird sich einzubringen?
Pieper: Politisch interessierte Jugendliche sollten mehr Verantwortung und Rechte übertragen bekommen, um eigene Entscheidungen treffen und durchsetzen zu können. Dabei ist es auch wichtig, dass Kommunalpolitiker stärker auf die jungen Leute zugehen.
Felsen: Das sehe ich genauso. Oft ist der Start ins Arbeitsleben nach Ausbildung oder Studium der Moment, in dem junge Leute erstmals richtig Verantwortung übernehmen. In dieser Lebensphase, mit Anfang bis Mitte 20, interessieren sie sich nicht mehr für Kommunalpolitik. Darum muss der Schritt in die Lokalpolitik viel früher erfolgen. Dazu braucht es Gremien für Schüler, wie beispielsweise Jugendparlamente. Darüber hinaus haben junge Menschen, wie ich, häufig den Eindruck, Politiker betreiben vor allem Krisenmanagement im Vier-Jahres-Rhythmus. Wir wünschen uns mehr Ansätze und Konzepte, die unsere Zukunft langfristig im Blick haben. Dann ist man auch viel motivierter, sich einzubringen.
Was hat Ihnen den Anstoß gegeben, sich in der Politik zu engagieren?
Pieper: Mein Interesse für Politik rührt zum einen aus meinem Elternhaus, wo wir uns viel darüber unterhalten. Zum anderen hat mich mein Politiklehrer stark geprägt. Als dann das Jugendparlament in Ronneberg gegründet wurde, wollte ich von Anfang an dabei sein.
Felsen: Auch mir hat der Politikunterricht in der Schule besonders Spaß gemacht. Nach dem Abitur habe ich durch ein Praktikum beim stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag erste Erfahrungen in der Kommunalpolitik gesammelt. Dabei hatte ich das Glück, im Wahlkampf bei allen Terminen dabei sein zu dürfen. Besonders beeindruckt hat mich, dass man auf kommunaler Ebene so nahe an den Menschen ist und dadurch viel bewegen kann. Das hat mir auch den Anstoß gegeben, 2016 bei der Kommunalwahl selbst anzutreten.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien für die Kommunalpolitik von morgen?
Felsen: Momentan tun wir uns in der CDU noch schwer damit, die geeignete Rolle sozialer Medien für unsere Arbeit zu finden. Unsere Themen betreffen einen so engen Personenkreis, dass die Streuung über Online-Netzwerke eigentlich schon übers Ziel hinausschießt. Ich bin mir aber sicher, dass soziale Medien besonders für den Wahlkampf zukünftig eine entscheidende Rolle spielen werden.
Pieper: Mit dem Jugendparlament nutzen wir soziale Medien intensiv, um junge Menschen anzusprechen und Themen für uns zu gewinnen. Wir haben sogar eine Social-Media-Beauftragte. Allerdings braucht man heutzutage eigentlich Anknüpfungspunkte über Influencer, die für Jugendliche heute eine große Vorbildfunktion einnehmen.
Was ist Ihnen persönlich in der politischen Arbeit für Ihre Kommune wichtig?
Felsen: Für mich sind Erreichbarkeit und Nähe entscheidend. Die meisten Einwohner hier kennen mich, seit ich vier Jahre alt bin. Sie duzen mich – und so soll es auch bleiben. Ich sehe mich nicht als derjenige, der alle Fäden zieht, sondern vielmehr als Dienstleister für die Gemeinde. Mir ist Konsens wichtig.
Pieper: Mein Anliegen ist es, junge Leute für die Politik zu begeistern. Ich möchte mit dem Jugendparlament einfache Wege schaffen, sich politisch zu engagieren. Mir liegt es auch am Herzen, mit den Jugendlichen und den Vereinen vor Ort eng zusammenzuarbeiten.