Christoph Fuchs von der Psychiatrischen Klinik in Lüneburg
„Malerei inspiriert die Sinne – nicht erst beim Betrachten eines Bildes, sondern schon im Entstehungsprozess.“

Ob großformatige Farbexplosion oder detaillierte Zeichnung, Pastell oder Acryl, abstrakte Form oder zarte Landschaft – beim Malen gibt es in der Psychiatrischen Klinik in Lüneburg keine Vorgaben. Zweimal in der Woche treffen sich hier unter Leitung von Christoph Fuchs Patientinnen und Patienten, um diesen künstlerischen Freiraum für sich zu nutzen. Im Interview erzählt er von der ganz besondere Malwerkstatt, deren Kunstwerke aktuell in der Ausstellung im Avacon WintergARTen zu sehen sind.
Bitte beschreiben Sie sich selbst mit drei Worten!
Begeisterungsfähig, humorvoll und offen.
Wie kamen Sie dazu, die Leitung der Malwerkstatt zu übernehmen?
Ich war ursprünglich Gärtner. Mein Zivildienst mit behinderten Menschen gab letztlich den Ausschlag für die anschließende Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Ich arbeite nun hier in der Lüneburger Psychiatrischen Klinik, und vor elf Jahren habe ich die Malwerkstatt übernommen.
Erzählen Sie uns von dem Malkurs!
Wir treffen uns zweimal in der Woche in der Malwerkstatt und arbeiten dann ganz frei, es gibt also keine Vorgaben oder Themen. Manche kommen mit einer festen Vorstellung, andere Motive ergeben sich beim Malen. Manche sitzen viele Stunden an einem Bild. Und andere wieder arbeiten schnell und intensiv und zaubern in einer halben Stunde ein großes, fertiges Werk auf die Leinwand. Es ist auf jeden Fall spannend, was da so passiert! Hier sind schon viele wunderbare Bilder entstanden.
Woher kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die hier gemeinsam malen?
Die, deren Bilder im WintergARTen gezeigt werden, sind z. T. in ambulanter Behandlung und kommen extra für die Malwerkstatt ins Krankenhaus. Andere kommen aus der Tagesklinik oder wurden hier stationär aufgenommen. Mir wurden auch schon Teilnehmerinnen und Teilnehmer „empfohlen“, die woanders durch ihre Kreativität aufgefallen sind und dann den Weg hierher gefunden haben ... Dieser Termin gibt vielen auch eine Tagesstruktur, die sehr wohltuend sein kann.
Ist das Malen also eine Art Therapie?
Es ist vor allem eine Möglichkeit, um zur Ruhe zu kommen und sich nochmal ganz anders auszudrücken. Sich von Farben und Material inspirieren zu lassen. Und auch, um soziale Kontakte aufzubauen und zu pflegen: Ich freue mich immer, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch außerhalb dieser Termine etwas zusammen unternehmen oder sich zum Beispiel einfach mal auf ein Bier verabreden. Alles, was eben zu einem ganz normalen Alltag dazugehört.
Acryl oder Öl, Kohle oder Aquarell? Womit arbeiten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Das steht ihnen frei, sie haben hier viele Materialien zur Verfügung. Die meisten finden irgendwann ihre „Lieblingstechnik“. Viele arbeiten – wie ich selbst auch – besonders gern mit Acryl. Unsere Leinwände bespannen und behandeln wir selbst, auch das gehört dazu! Ich versuche, so gut wie möglich zu unterstützen und weiterzuhelfen, wenn es mal nicht weitergeht. Und natürlich tauscht man sich beim Arbeiten untereinander aus, das ist sehr wichtig.
Kunst, Hobby, Therapie – oder von allem etwas? Ist das wichtig?
Nein, überhaupt nicht. Natürlich gibt es hier Menschen, die künstlerisch sehr begabt sind, die auch einen hohen Anspruch an sich haben und an das, was sie machen. Aber darum geht es nicht. Wichtig ist mir, dass dieser Ort für Menschen ein kreativer Freiraum ist, dass sie experimentieren dürfen oder auch nicht – ganz ohne Druck oder Bewertung.
Kunst ist für Sie ... ?
... eine Inspiration für die Sinne. Kunst ist anregend und provozierend. Ich mag Gegensätze.
Auch von Ihnen gibt es Bilder im WintergARTen ...
Ja, ich habe immer schon gern gemalt und bin seit 20 Jahren dabei. Ich liebe Farben und Strukturen und male ausschließlich abstrakt. Es gibt hier Teilnehmer, die sehr gut gegenständlich malen und zeichnen können – Menschen, Hände, Tiere, Bewegungen. Davor habe ich großen Respekt, das könnte ich nie so!
In den Fluren trifft man überall auf Bilder aus der Malwerkstatt: Viele großformatig und expressiv, andere zurückhaltend und pastellig ... Wie ist die Resonanz hier in der Klinik?
Ich wurde schon oft angesprochen auf die Bilder, und ich freue mich natürlich, wenn sie auch anderen Freude machen! Es gibt auch immer wieder Klinik-Mitarbeiterinenn und Mitarbeiter, die sich in eins verlieben und es direkt kaufen möchten, zum Beispiel für ihr Büro oder für zuhause. Das geht dann auch und ist eine tolle Bestätigung für die Künstlerinnen und Künstler.
Gab und gibt es weitere Ausstellungen neben der aktuellen?
Ja, immer mal wieder. Was bei uns entsteht, zeigen wir hier im Haus, aber auch in angeschlossenen Kliniken. Wenn man damit weiter rausgeht in die Öffentlichkeit, ist das besonders schön – letztens wurden viele unserer Bilder zum Beispiel im Heinrich-Heine-Haus in der Innenstadt ausgestellt.
Malen in Corona-Zeiten – wie ging das?
Eine Zeitlang gab es tatsächlich nur Einzelsitzungen von eineinhalb Stunden, für die sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann angemeldet haben. Das war einerseits schön, weil man sehr konzentriert arbeiten kann. Andererseits fehlte da natürlich der Austausch in der Gruppe. Wir freuen uns sehr, dass wir mittlerweile wieder wie gewohnt miteinander arbeiten können.
Was ist für Sie der perfekte Ort in Lüneburg, um Kraft zu tanken?
Es gibt zwei Plätze die ich sehr mag. Um sich einen Überblick von Lüneburg zu verschaffen, geht man auf den Kalkberg, von dort hat man einen tollen Blick auf die Altstadt. Besonders schön ist es auch im Kurpark der Stadt.
Und der ideale Ort, um sich zu vernetzen?
Eines der vielen kleinen Cafés in Lüneburg!
Was wünschen Sie sich für das Lüneburg der Zukunft?
Das „Am Sande“ in Lüneburg kein Busbahnhof mehr ist. Mit Bänken und Bäumen könnte der Platz viel schöner gestaltet werden
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